Salsa en Cali – jetzt verstehe ich, warum es ohne in Cali nicht geht!

Museo de la Salsa in Cali Kolumbien

Freitag – 19. August 2022, 20:45 Uhr – in der Nähe meines Hostels

Ich sitze über den Dächern von Cali, im Barrio San Antonio. Das Viertel ist heiß begehrt bei Reisenden: Häuser im Kolonialstil, viele gute Restaurants und preisgünstige Hostels. Mein Blick geht gegen Osten, es ragen ettliche Hochhäuser in den dunklen Himmel, die Stadt ist voller Lichter. Straßenlampen inklusive. Cali ist die drittgrößte Stadt Kolumbiens. Wo ich aktuell sitze, bin ich zu 100 Prozent wieder auf sicherem Terrain. Das war vor gut drei Stunden noch etwas anders. Ich war zu Fuß unterwegs in Richtung Museo de la Salsa, hatte es eilig. In einer Stunde würde es schließen. Eigentlich wollte ich im Taxi fahren. Doch das ist gar nicht so leicht zur Rush Hour. Ich überquerte die breite Straße, unten an der berühmten Salsa-Tanzbar Topa Tolandra, ging schon mal in Richtung Museum, um mir dann an geeigneterer Stelle eines herbeizuwinken. Eines, das nicht im vorabendlichen Stau steckenbleiben würde.

San Antonio in Cali
Cali – San Antonio

Doch beginnen wir von vorne!

Am frühen Morgen wache ich auf mit einer WhatsApp-Nachricht von Elizabeth Quiñerez, einer Salsa-Lehrerin. Sie hat mir die Nummer von Carlos Mario geschickt, dem „Director de la escuela!“

Der wiederum antwortet sofort auf meine Anfrage: Ich würde heute zwischen 11 Uhr und 13 Uhr bei ihm Salsa lernen. Die Grundlagen. Una clase de salsa! Endlich könnte ich damit tun, was ich in Cali nie und nimmer auslassen dürfe. Cali – das ist Salsa, in den Beinen der Leute, im ganzen Körper, im Herzen. Salsa, das ist hier der Puls des Lebens. Das Lebensgefühl schlechthin.

Kurz darauf beim Frühstück sitzt mir schräg gegenüber die Polin, die ich vor zwei Tagen kennengelernt habe. Sie ist extra wegen Salsa nach Cali gereist, um hier ihre Kenntnisse zu erweitern. Nach zwei Wochen Kolumbien und viel Tanzen ist sie erschöpft, jedoch weniger des Tanzens wegen. Es ist die Sprache, die ihr fehlt. Sie ist überrascht, dass hier so wenig Englisch gesprochen wird! Ermüdend sei das auf Dauer.

Ein Pärchen aus Neuseeland, Mitte 50, sitzt ebenfalls am Tisch. Beide schon seit Jahren Kolumbien-Reisende, jedoch ebenso „sprachlos“. Auch sie finden es schade, kein Spanisch zu sprechen. Nehmen es sich jedes Mal vor, doch bleibt es dabei! Sie machen hier Urlaub, einmal im Jahr sind sie für mehrere Woche im Hostel Magic Garden, machen Yoga, genießen das Leben. „Maybe we will try to learn a little bit for next year.“ Es sei einfach schöner, sich zumindest etwas auf die Leute hier einlassen zu können.

Wie einfach genau das mit Sprache geht, erlebe beim Frühstück mit den beiden jungen Frauen aus Bogotá, die links von mir sitzen, in Jogging-Klamotten. Wir reden über die Lauferei. Beide legen ihre anfängliche Schüchternheit schnell ab. „Estamos en Cali por la carrera del domingo.“ Es gibt einen Lauf hier am Sonntag, 5km oder 10km. Die Startgelder werden gespendet für die Tiere im Zoo.

Für einen kurzen Moment überlege ich, auch daran teilzunehmen. Doch will ich ja noch andere Flecken des Landes sehen, wo ich bisher schon so viele Tage in Bogotá und Cali verbracht habe. Außerdem ruft der Pazifik und im Magic Garden gibt es morgen kein freies Bett mehr.

22:30 Uhr – Ich schreibe im Bett weiter

Hier im Barrio San Antonio verbringen die Einheimischen einen chilligen Abend, mit lustiger Freilicht-Einlage eines Kabarettisten, die Leute sitzen im Kreis herum, den kleinen Hang entlang. Weiter rechts fahren Kids und auch Erwachsene auf Bierkästen einen betonierten kurzen Hang hinunter, den „Fahrpreis“ geben sie einem Burschen, der zu Musik aus dem Lautsprecher auf einem Eimer trommelt. Wieder Salsa. 1-2-3 y 5 -6-7. Un – dos – tres  – cinco –  seis – siete. Die spanischen Zählzeiten schwirren unentwegt in meinem Kopf. Seit Mittag, seit Carlos mir in zwei Stunden mehr beigebracht hat, als ich mir je hätte vorstellen können.

Am Spiegel in seinem Tanzstudio schreibt er für seine Schüler alles mit, u.a. die drei „Kommandos“:

1 – Adelante/atrás

2 – lado/lado

3 – atrás/atrás

Es ist die einfachste Form des Salsa, die Kinder sofort lernen würden, von klein auf, weil es nichts zu überlegen gäbe: Links und rechts passiert das Gleiche, es geht immer nur in eine Richtung.

Ich bin auch jetzt, 12 Stunden später noch ganz angetan davon, wie lebendig ich mich heute beim Tanzen gefühlt habe, wie viel Freude ich empfunden habe.

Carlos hat mir heute beigebracht, warum Salsa aus Cali nicht wegzudenken ist. Und dank des Kurses heute hatte ich auch gleich noch einen wunderschönen, unerwarteten Abend. Es hat sich gelohnt, das Museo de la Salsa noch zu besuchen.

Carlos hat es mir ans Herz gelegt, von den vielen einmaligen historischen Fotografien geschwärmt. Nach den Tanzstunden, auf dem Weg zurück zum Magic Garden überlege ich, wie ich zeitlich alles schaffen kann. Ich sollte noch einiges erledigen für meinen Pazifiktrip morgen. Außerdem habe ich Riesenhunger. Seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen. Doch die Zeit eilt. Schnellen Schrittes gehe ich nochmal in die Pasteleria Alemana, gönne mir einen der leckeren Kuchen und verabschiede mich von Indres, der Chefin. Mein Blick auf die Uhr: schon halb sechs! Das Museum würde um 19 Uhr schließen. Gehen oder nicht gehen? Museum oder nicht?

Adresse Salsa-Studio von Carlos
Das Salsa-Studio von Carlos

Auf dem Weg zum Museum

Zu Fuß laut Navi würde der Walk eine halbe Stunde dauern. Der Verkehr ist jedoch so dicht, dass ein Taxi nur dann Sinn macht, wenn ich es an der richtigen Ecke aufhalten würde. Ohne lange zu überlegen, gebe ich meinem inneren Impuls nach. Ab ins Museum!

Ich gehe Richtung Osten, die Straßen wirken zunächst verlassen, die Gegend wirkt ärmer. Blanke Erde statt Teer, abgemagerte Hunde jaulen. Die Häuser sind alt, manche eingestürzt oder kurz davor. In diesem Viertel wohnen die ärmeren Familien. Ich biege um die Ecke. Gehe weiter und weiter.  Junge, hagere Burschen hocken am Straßenrand, trinken Bier und rauchen. Es riecht süßlich nach Marihuana. Ich spüre, wie sie mich mustern. Zusehends fühle ich mich unwohler, meine sonstige Taktik, vertrauenswürdige Menschen freundlich zu grüßen, ist hier fehl am Platze. Keiner da.

Thema Armut – wie schon in Bogotá beobachte ich verstohlen aus den Augenwinkeln heraus, wie einige Burschen Müllsäcke durchsuchen, nach verwertbaren Rohstoffen suchen. Man nennt sie „Recicladores“. In schwarzen Säcken über den Rücken transportieren sie ihre Schätze ab. Zwei Straßen weiter komme ich an riesigen Bergen von gepresstem Müll vorbei, offensichtlich schon verpackt – und damit verkaufsfertig. Wer der Käufer sein würde, wie viele Pesos ein Reciclador wohl bekommen würde dafür, dass er Abend um Abend Müllsäcke am Straßenrand, an den Hausecken durchwühlt?

Schnell lasse ich von weiteren Gedanken ab. „Amiga, gringa!“  höre ich einen der Burschen hinter mir rufen. Meine Schritte werden schneller, ich blicke nur nach vorne, versuche so zu tun, als wüsste ich genau wohin ich wollte. Mittlerweile setzt die Abenddämmerung ein. Kein guter Zeitpunkt, um ausgerechnet hier entlang zu gehen! Meine Bluse ist viel zu auffällig, viel zu chic. Meine zerrissenen Jeans passen da schon eher. Wobei auch das nichts ändert: Wer mit blonden Haaren in Südamerika unterwegs ist, ist ohnehin ein Gringo, eine Gringa, und damit reich genug, um nach einem Überfall mehrere Kerle unfreiwillig mit Marihuana und Alkohol zu versorgen.

Ich bin erleichtert, als ich weiter vorne die breite, belebte und beleuchtete Straße erblicke. Sie will ich erreichen, nicht riskieren, dass ein Kerl aufspringt, mir nachgeht.

Endlich fühle ich mich wieder sicher. Es war sicherlich keine gute Idee, fünfzehn Minuten durch dieses Viertel zu marschieren. Allerdings finde ich auch hier nicht sofort ein freies Taxi. Zudem sind Nummern der Straßen, der Calles und Carreras hier schlecht angeschrieben. So recht weiß ich nicht, wie weit ich noch entfernt sein würde vom Museum. Vielleicht zwei, drei Blöcke.

Ein Taxifahrer hält schließlich an, wir fahren tatsächlich auch nur wenige Blöcke und er will 7000 Pesos. Ziemlich überteuert. Es werden fünf, weil er kein Wechselgeld hat. Wohl immer noch zu viel, obwohl umgerechnet nur etwa ein Euro. Doch das ist mir egal. Hauptsache, ich komme am Museum an. Die Angestellten, so meine Hoffnung, würden mir hinterher sicher ein Taxi bestellen.

Frau und Mann im Museum
Im Museum mit dem kubanischen Künstler

Angekommen, endlich!

Das Museum ist klein, an diesem Abend ist ein kubanischer Sänger vor Ort, eine Größe in seinem Land, wie man mir sagt. Er lässt gerade Werbevideos von sich drehen. Während der Sänger seine Lieder schmettert, kommt einer der Angestellten auf mich zu, führt mich durch die Raritätensammlung und erklärt mir wichtige Fotos des Museums!

Ich nutze die Gelegenheit und erzähle ihm, ich sei zu Fuß gekommen, hätte gespürt, dass ich im falschen Viertel unterwegs gewesen wäre. “No good idea!“  Doch ich habe Glück: Zurück in die Stadt könne ich mit dem ganzen Team im Taxi fahren. In Cali wird an diesem Freitag entlang des Boulevard im Zentrum eine große Salsa-Party gefeiert.

Und so sitzen wir wenig später zu fünft im Taxi. Die Frau neben mir ist beinahe bestürzt, dass ich zu dieser Zeit zu Fuß durch das Viertel gegangen bin. „Nunca en mi vida me atrevería!“ Sie würde sich das nie zutrauen. Dabei wirke sie nach außen eher tough, entgegne ich und treffe prompt ins Schwarze: „Sí, correcto, pero adentro suave y con preocupaciones.“ Ja, richtig, aber im Inneren weich und besorgt. Zeit ihres Lebens hat sie Cali noch nicht verlassen, auch aus Angst, es könnte etwas passieren.

Schon im Taxi muss ich immer daran denken, welch ein Segen es war, mich trotz Zeitdruck noch überwunden zu haben, ins Museum zu gehen. Welch Glück, dass in den Straßen des Viertels Obrero vorher nichts passiert ist. Welch Glück, dass ich sogar noch die Live-Session des Kubaners im Museum sehen und aufnehmen konnte. Und nun sitze ich im Taxi mit allen gemeinsam, und darf dank ihrer auch gleich noch erleben, wie viel den Caleños Salsa bedeutet!

Und dann noch zur Salsa-Party

An diesem Freitag ist Dance-Night angesagt, das örtliche Cosa Nostra Orquesta spielt auf der Bühne. Besser gesagt die Combo. Die Stimmung ist ausgelassen, hunderte von Zuhörer hier bewegen sich zum mitreißenden Rhythmus der Combo! Laut meiner Begleiterin hat die Corona-Pandemie hier viele Menschen vereinsamen lassen. Es fällt schwer, mir die Hochburg des Salsa ohne Musik und die Lebensfreude der feiernden Caleños vorzustellen. Doch auch hier durften die Leute nicht aus den Häusern, wie die Frau ergänzt. Gut, dass das wieder Vergangenheit geworden ist.

Die Dance-Night wäre für mich nicht annähernd so schön gewesen, hätte ich bis dahin noch keinen einzigen Salsa-Schritt gekannt. Unwissenheit kann Freude vorenthalten!!! Zumindest in diesem Fall.

Es macht Spaß, el tiempo aufzunehmen, den Grundschlag. Ich kämpfe mich vor zur Bühne, neben mir tanzen die meisten ein bisschen vor sich hin, manche haben Claves, Glocken in der Hand, spielen im Rhythmus mit. Der Sänger bittet Pärchen nach vorne, auf eine leicht erhöhte Tanzfläche unmittelbar vor der Bühne. Seiner Bitte folgen die Jungen, die Alten. Alter egal. Salsa tanzt hier jeder, schon in Schulen wachsen die Kids damit auf.

Ich verabschiede mich schließlich von der Crew, noch weit vor Mitternacht und weiß zugleich: Erst viel später, bis wohl 3 Uhr morgens, geht es hier mega ab! Doch was ich bisher gesehen und gehört habe, muss für mich heute reichen. Zumindest vorerst.

Konzert einer Salsa-Band in Kolumbien
Salsa-Band in Cali

Text von Ingrid

Ich (52) reise seit mittlerweile 30 Jahren, war oft alleine unterwegs. Seit 15 Jahren bin ich viel in Lateinamerika. Meine Faible dafür habe ich 2008 entdeckt, auf einer Reise nach Costa Rica mit MTB. Während dieser Reise habe ich mich in Spanisch verliebt. Weitere MTB-Reisen gingen nach Peru (u.a. Machu Picchu) sowie Mexiko. Die letzten 10 Jahre bin ich alleine gereist, u.a. auch im Rahmen einer Weltreise. In diesem Sommer bin ich zurückgekehrt nach Kolumbien, dieses Mal mit Partner. Mein Gepäck: Ein Rucksack. Seit 2018 halte ich Reisevorträge, berichte nicht nur von den Orten, sondern hauptsächlich von den Begegnungen vor Ort – Spanisch sei Dank. Mit vielen meiner Reisebekanntschaften bin ich auch heute noch in Kontakt, es gibt regen Austausch.

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